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Retriever: Sorgen um die Gesundheit der Rassen


Diese Dissertation beinhaltet Sprengstoff und betrifft fast alle Retriever-Rassen: Die Doktorandin Anne Brümmer hat bereits 2008 beim Fachbereich Veterinärmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen eine Doktorarbeit zur „Gesundheit, Krankheitshäufigkeiten und Todesursachen bei Retrievern“ eingereicht (http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2008/6684/pdf/BruemmerAnne-2008-11-13.pdf). Sie kommt auf über 200 Seiten zu teilweise alarmierenden Ergebnissen.


Anne Brümmer erarbeitete unter Mitwirkung der Zuchtkommission des Deutschen Retriever Clubs (DRC) einen Fragebogen. Unter anderem enthielt der Fragebogen eine Liste mit 81 Krankheiten, von denen Retriever betroffen sein könnten. Die Auswertung der Fragebogen führte später dazu, dass der Liste 22 weitere Krankheiten hinzugefügt werden mussten. Bei der Auswertung wurden FCI-Hunde und Nicht-FCI-Hunde getrennt.
Die Doktorandin wertete insgesamt 1708 Fragebogen von Hunden mit FCI-Papieren aus. 352 Fragebogen kamen von Besitzern von Nicht-FCI-Hunden.
Unter allen Hunden war die Rasse Golden Retriever zahlenmäßig am stärksten vertreten. Auf sie entfielen 962 der insgesamt 1708 Hunde. Die zweitstärkste Rasse stellte der Labrador mit 524 Hunden, gefolgt vom Flat-Coated Retriever mit 145 Hunden. Mit 1181 Hunden entfiel auf den Deutschen Retriever Club (DRC) die Mehrheit der Gesamtheit der Hunde. Aus dem Labrador Club Deutschland (LCD) kamen 163 Antworten, aus dem Golden Retriever Club (GRC) 132.
Von insgesamt 1708 Hunden war bei 1372 Hunden ein HD-Röntgen-Gutachten bekannt. Die Auswertung ergab, dass 81 der nicht geröntgten Hunde gleichwohl zur Zucht eingesetzt wurden. Da dies in den Zuchtvereinen des VDH ausdrücklich untersagt ist, dürfte es sich hierbei um Dissidenzhunde handeln.
Aus den Angaben zum Lebensalter der Retriever konnte errechnet werden, dass das durchschnittliche Lebensalter 8,9 Jahre betrug, das durchschnittliche Lebensalter der Rüden lag sogar bei unter acht Jahren. Als häufigste Todesursache gaben die Hundebesitzer mit großem Abstand Krebs an. Es folgten neurologische Ursachen und Erkrankungen der Organe.
Gefragt wurde auch nach der Häufigkeit schwerer, behandlungsbedürftiger Erkrankungen. Von den hierzu ausgewerteten Daten für 1705 Retriever-Hunden hatten 671 Hunde in ihrem Leben keine schwere Erkrankung. 524 Hunde hatten eine, 266 Hunde hatten zwei, 130 Hunde hatten 3, 59 Hunde vier und 55 Hunde fünf schwere Erkrankungen im Laufe ihres Lebens. Insgesamt standen 671 immer gesunden 1034 Hunde mit einer unterschiedlichen Anzahl behandlungsbedürftiger Erkrankungen gegenüber. Für Hunde mit einer bis maximal fünf Erkrankungen lagen die Werte für die Rassen Golden Retriever stets über denen der Rassen Flat-Coated Retriever und Labrador-Retriever.
Anne Brümmer: „In der Rasse Golden Retriever fiel das gegenüber den anderen Rassen gehäufte Auftreten von chronischem Durchfall und Hypothyreose auf, bei den Labrador-Retrievern hingegen vermehrtes Auftreten unbekannter Lahmheit und gehäufter epileptischer Anfälle.“
Die Krankheit Allergie kam unter den 1708 Hunden 117 Mal (6,9 Prozent) vor. Sie ist die am häufigsten genannte Krankheit. Dies traf auch für die Nicht-FCI-Hunde zu. Hier wurde die Krankheit 46 Mal genannt, was sogar 13,1 Prozent entspricht. Von den 117 an Allergie erkrankten Hunden wurde ein auffallend großer Anteil (47,9 Prozent) mit Frischfutter ernährt. Hunde, die vorwiegend Trockenfutter erhielten, waren seltener krank als Hunde, die andere Futtermittel erhielten.
An Krankheiten des Bewegungsapparats litten insgesamt 20,6 Prozent (352) aller Hunde.
Anne Brümmer fasste ihre Untersuchungsergebnisse zusammen: „Für einige Krankheiten bestätigte sich das aus der Literatur bekannte, erhöhte Erkrankungsrisiko für Retriever. Andere Krankheiten mit erblichem Hintergrund, für die eine Prädisposition unter Retrievern vermutet worden war, kamen nur sehr selten oder gar nicht unter den Hunden der Grundgesamtheit vor (zum Beispiel von-Willebrand-Erkrankung). Rasseprädispositionen wurden für verschiedene Krankheitsgruppen beobachtet. Bei Golden Retrievern wurden Krebs- und Herzerkrankungen fast doppelt so häufig beobachtet als bei Labrador-Retrievern, noch häufiger traten Krebserkrankungen bei Flat-Coated Retrieverns auf. Labrador-Retriever litten fast doppelt so häufig wie Golden und fünfmal so häufig wie Flat-Coated Retriever an epileptischen Anfällen. Die Rate an Erkrankungen des Bewegungsapparats war bei Flat-Coated und Nova-Scotia-Duck-Tolling-Retrievern deutlich niedriger als bei den anderen Rassen, bei Labrador-Retrievern war sie am höchsten. Labrador-Retriever litten doppelt so häufig an behandlungsbedürftiger ED wie Golden Retriever. Nova-Scotia-Duck-Tolling-Retriever litten bei weitem am seltensten an Hauterkrankungen.“
Für die Doktorandin waren auffällig und teils unerwartet folgende Ergebnisse: „Ein erhöhtes Risiko für Allergie-Erkankungen bei selten entwurmten und selten geimpften Tieren; ein erhöhtes Borreliose-Risiko bei gegen Borreliose geimpften Tieren; ein doppelt so hohes Risiko für Durchfallerkrankungen bei Rüden verglichen mit Hündinnen sowie ein mehr als vierfach erhöhtes Risiko bei Tieren, die als Junghunde mit Antibiotika behandelt worden waren; Hunde mit epileptischen Anfällen waren häufiger (früh-) kastriert als Nicht-Epileptiker; unter den „arbeitenden Hunden“ (Jagd und Dummyarbeit) war das Risiko für Erkrankungen des Bewegungsapparats vermindert; das Risiko, an Arthritis und/oder Gelenkbeschwerden zu erkranken, war unter den Hunden mit gut beurteilten Hüften (A und B) und Ellenbogen (ED frei) sehr klein. Das Risiko für behandlungsbedürftige ED war für Rüden signifikant höher als für Hündinnen und für Labrador-Retriever aus nicht kontrollierter Zucht fast doppelt so hoch wie für Labrador-Retriever mit FCI-Ahnentafel (Anm. der Red.: Der Besitz einer FCI-Ahnentafel allein sagt noch nichts darüber aus, ob auch nach den Regeln der FCI gezüchtet wird) . Nicht-FCI-Hunde litten mehr als viermal so häufig unter behandlungsbedürftiger HD und (beim Labrador-Retriever) mehr als doppelt so häufig unter behandlungsbedürftiger ED als Hunde aus kontrollierter Zucht. Die erhaltenen Ergebnisse lassen die Möglichkeit einer züchterischen Beeinflussbarkeit insbesondere bei solchen Krankheiten erkennen, die eine Rasseabhängigkeit und eine familiäre Häufung zeigen.“
Reaktionen der Vereine
Hund & Jagd nahm mit den Zuchtvereinen Kontakt auf, um deren Reaktion auf die Studie abzufragen. Das Ergebnis war kurios: Der Deutsche Retriever Club (DRC), der die Doktorarbeit aktiv unterstützt hatte und anschließend wenigstens ansatzweise auch reagierte und beispielsweise die Forschungsarbeiten zu Epilepsie unterstützte, äußerte sich gar nicht.
Der Vorsitzende des Labrador Clubs Deutschland (LCD), Peter Wingerath, war sofort für ein Gespräch zu gewinnen. Sein Club hat in der Vergangenheit das Thema Rassegesundheit schon fast sträflich vernachlässigt. Der LCD plane aber, so Wingerath, Großes. Wingerath: „Was das „Ernstnehmen“ anbelangt, differenzieren wir zwischen belastbaren Tatsachen, begründetem Verdacht, Behauptungen und Verallgemeinerungen von Einzelerfahrungen.“ Wingerath ist von Hause aus Jurist...
„In Bezug auf die Belastung der Rasse mit Formen der idiopathischen Epilepsie, für die dem LCD zurzeit weniger als zehn Ausschlussdiagnosen für die letzten zehn Jahre (bei rund 19.000 Welpen) vorliegen und wir zudem leider feststellen müssen, dass Besitzer von verdächtigen Hunden nicht bereit sind, trotz Kostenübernahme durch den LCD einer Ausschlussdiagnostik zuzustimmen, sondern uns zuletzt allenfalls Anträge auf Kostenübernahme von nicht zielführenden Untersuchungen vorlagen, sehen wir kaum Möglichkeit der weiteren Aufklärung.“
Die Tierärztin Leni Niehof-Oellers hat in den letzten Jahren privat sehr viel Engagement aufgebracht, um Forschungsarbeiten an den Universitäten von Helsinki und Bern zu den vererbbaren Erkrankungen zu unterstützen. Insbesondere geht es ihr darum, dass möglichst viele Blutproben in den Labors in Skandinavien und der Schweiz landen. Auch sie wurde vom DRC (zumindest teilweise) unterstützt, vom LCD überhaupt nicht. LCD-Vorsitzender Peter Wingerath zum Epilepsie-Engagement der Tierärztin: „Leni Niehof-Oellers hat hier hohe Summen gesammelt über „Retriever health“ für eine Forschung mit dem Ergebnis, dass wohl ein polygen rezessiv vererbter Erbgang vorliegen muss – das war fraglos schon daraus abzuleiten, dass gemessen an der Populationsgröße kaum Erkrankungen oder Verdachtsfälle vorlagen (dem widerspricht übrigens die Tierärztin vehement). Ich hätte hier dem Projekt von Leni Niehof-Oellers größeren Erfolg gewünscht – auch, weil es jetzt natürlich wieder Altvordere und unverbesserliche „Züchter“ gibt, die schadenfroh erklären, dass das alles keinen Sinn macht. Es gibt betroffene Linien – vor allem sogenannte „Arbeitslinien“ mit einem hohen Inzuchtgrad, die im LCD nicht gezüchtet werden - und es gibt auch vereinzelt Standardlinien, die auch im LCD Verwendung gefunden haben und wo der begründete Verdacht besteht, dass hier eine genetische Vorbelastung vorhanden ist. Zwei Rüden wurden hier zuletzt auch der Zucht genommen.“
Leni Niehof-Oellers züchtet seit 1982 im DRC und war dort auch Rassezuchtwartin. Man kann ihr also eine gewisse Erfahrung unterstellen. Sie widerspricht Wingerath energisch. So sei der Inzuchtkoeffizient und der Ahnenverlust in vielen Ahnentafeln von Labrador Retrievern sehr hoch. Dies sei aber nicht nur in den sogenannten Arbeitslinien der Fall. Auch Wingeraths Erfahrungen mit Labrador-Besitzern, die sich angeblich nicht an den Blutuntersuchungen beteiligen wollten, sieht Niehof-Oellers grundlegend anders. Ihre Erfahrungen mit Besitzern von an Epilepsie erkrankten Hunden seien überwiegend gut. Gegen eine Blutuntersuchung und eine neurologische Untersuchung gebe es kaum Einwände. Viele Hundebesitzer täten sich aber schwer mit dem Erstellen von MRTs, da ihr Hund dafür eine Narkose benötige.
Die Tierärztin vermutet, dass die Dunkelziffer für an Epilepsie erkrankte Hunde noch höher ist als bei anderen Erkrankungen. Besitzer von erkrankten Hunden hätten ihr berichtet, dass Züchter ihnen „verbaten“, darüber zu sprechen.
Dass im Labrador-Club nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit an das Thema Gesundheit herangegangen werde, macht sie an einem Beispiel fest: Als seinerzeit im Retriever-Club das ED-Röntgen eingeführt wurde, seien viele Züchter zum LCD gewechselt. Dort sei das Röntgen erst Jahre später eingeführt worden.
Auf der LCD-Züchterversammlung im März und der Mitgliederversammlung im Juni will Wingerath über ein „Gesamtmaßnahmenpaket“ abstimmen lassen.
Dass in beiden Zuchtvereinen – DRC und LCD – noch ein Berg von Arbeit wartet, um die Rassen robuster zu machen, zeigen diese beiden Sachverhalte: Im LCD werden laut Peter Wingerath lediglich 24 Prozent der Hunde auf HD geröntgt. Auch aus seiner Sicht sind das viel zu wenige. Zudem haben es beide Vereine bisher nicht geschafft, sich auf einen gemeinsamen HD-Gutachter zu einigen. Tobias Paulsen

Tags: Jagdhunde, JGHV

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